Mit 7.500 Ausstellern und jährlich mehr als 285.000 Besucherinnen und Besuchern an fünf Messetagen ist die Frankfurter Buchmesse regelrecht eine kleine Stadt auf Zeit. Messestände, Wege, Stufen, Rolltreppen, Aufzüge, Veranstaltungsräume. 4.000 Events drinnen und draußen. Alles gut geplant und ausgeschildert. Doch auch Gutes kann noch verbessert werden. Bei einem Projekt der Frankfurter Buchmesse in Kooperation mit der Forschungsgruppe Urban Health Games der Technischen Universität Darmstadt wurde in der Zeit von Oktober 2017 bis März 2019 untersucht, wie die Zugänglichkeit der Messe für alle Besucherinnen und Besucher weiter optimiert und damit auch die Aufenthaltsqualität auf der Messe verbessert werden kann. Als Fokusgruppen wurden hier insbesondere Personen mit Mobilitäts- und Seheinschränkungen sowie Familien, die mit ihren Kindern die Buchmesse besuchen, bei sogenannten Interviewspaziergängen über die Messe begleitet. Zudem wurden weitere Erkenntnisse durch Befragungen von Messebesuchern gewonnen. Ideen und Konzepte für die räumliche Ausgestaltung zukünftiger Messen lieferten neben den Vorschlägen der Forschungsgruppe auch Entwürfe von Studierenden der TU Darmstadt.
Interview mit Gabi Rauch-Kneer, Geschäftsleitung Messemanagement der Frankfurter Buchmesse
Frau Rauch-Kneer, warum hat die Buchmesse sich des Themas Barrierefreiheit angenommen?
Die Frankfurter Buchmesse ist die internationale Leitmesse für Inhalte, für Geschichten, und ein kulturelles Großevent. Der Spagat zwischen Fachmesse und Publikumsevent gelingt immer wieder sehr gut, aber mit der großen Zahl an Messebesuchern werden die beim Publikum besonders beliebten Hallen am Wochenende sehr voll. Selbst für Kulturbegeisterte ohne körperliche Einschränkungen kann es hier herausfordernd sein, zu einer bestimmten Veranstaltung mit dem Lieblingsautor zu kommen. Kaum auszudenken, was dies für Besucherinnen und Besucher bedeutet, die im Rollstuhl unterwegs sind. Für blinde Menschen war die Buchmesse in der Vergangenheit nur schwer zugänglich. Familien mit Kindern – unser Lesenachwuchs –, haben es zudem nicht immer leicht, mit ihren Kinderwagen durch die Gänge zu kommen, viele Besucherinnen und Besucher möchten sich verständlicherweise im Messetrubel auch einmal kurz hinsetzen und ausruhen. Uns ist es wichtig, die Buchmesse möglichst barrierearm zu gestalten, um allen Kulturbegeisterten die Möglichkeit zu geben, die Buchmesse zu besuchen und den Aufenthalt dort zu genießen; deshalb sind wir dieses Thema angegangen.
Im vergangenen Jahr hat die Frankfurter Buchmesse gemeinsam mit der Forschungsgruppe der TU Darmstadt einen Stand präsentiert, an dem die bisherigen Ergebnisse des Projekts vorgestellt wurden. Der Stand war natürlich barrierefrei, dazu gehörte ein ebenfalls barrierefreies Café mit niedriger Theke, unterfahrbaren Tischen, Stellplätzen für Kinderwagen. Vor Ort stand ein Rollstuhl, mit dessen Hilfe Besucherinnen und Besucher sich in die Situation eines Rollstuhlfahrers während eines Messebesuchs versetzen konnten. Auch gab es ein Tastmodell, das aufzeigte, wie eine blinde Person sich auf dem Messegelände zurechtfindet. Welche Erkenntnisse konnten Sie gewinnen?
Zunächst einmal waren wir alle sehr positiv überrascht, wie viele Besucherinnen und Besucher sich die Zeit genommen haben, den Stand zu erkunden und an der dort durchgeführten Umfrage teilzunehmen. Das zeigt sehr gut, wie wichtig das Thema ist, und hat uns darin bestätigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Die Auswertung der rund 500 Fragebögen ergab, dass vor allem die großzügige Gestaltung der Bewegungsflächen am Stand, die an die DIN-Norm für Rollstuhlfahrer angepasst und durch flexibles Mobiliar verstärkt wurde, als sehr angenehm empfunden wurde: Rund 85 % der befragten Besucherinnen und Besucher bewerteten die Bewegungsfläche als gut oder sehr gut. Aber auch weitere Faktoren wie Zugänglichkeit des Cafés und Lesbarkeit der Inhalte wurden von mehr als 50 % der Befragten positiv bewertet. Bezüglich Lesbarkeit kamen einige mittelmäßige Bewertungen hinzu, weil die Schriftgröße nur für die Überschriften so gewählt wurde, dass diese auch vom Gang aus lesbar waren. Fließtexte waren entsprechend kleiner, was vor allem von Eltern mit Kinderwägen bemängelt wurde, die sich gern schon vom Gang aus genauer informiert hätten. Die Berücksichtigung von unterschiedlichen Augen- und Greifhöhen aller Besucherinnen und Besucher bei der Präsentation von Informationen war zudem sehr erfolgreich.
Zusätzlich haben wir in der Umgebung des Standes mit den Gangbreiten zwischen den Messeständen experimentiert und auch hierzu unsere Besucherinnen und Besucher befragt. Die Mehrheit empfand einen fünf Meter breiten Gang am angenehmsten – und das nicht nur am publikumsstarken Wochenende. Als ich selbst an den Stand kam habe ich auch sofort die Offenheit, die angenehme Zurückhaltung der Farbgebung und das Raumgefühl gespürt und dachte spontan: „Hier steht der Mensch im Mittelpunkt!“ Inmitten des Messetrubels einen Ort zu finden, der dazu einlädt, die Inhalte des Standes in Ruhe aufzunehmen und in ein intensives Gespräch zu gehen, war einfach schön und sehr ermutigend für unsere weitere Arbeit an dem Projekt.
Wie geht die Frankfurter Buchmesse, wie gehen Sie mit den Ergebnissen und Erkenntnissen des Forschungsprojekts um? Welche Maßnahmen werden umgesetzt?
Uns ist bewusst, dass wir uns auf einen längeren Weg gemacht haben. Das Ziel ist eine barrierefreie Buchmesse; das Forschungsprojekt mit der TU Darmstadt stellt hier nur eine Station dar. Wir hoffen, dass wir von Jahr zu Jahr mehr und mehr Maßnahmen umsetzen können, um die Aufenthalts- und Begegnungsqualität auf der Messe für unsere Besucher weiter zu steigern. Uns ist zudem wichtig, die gewonnenen Erkenntnisse auch mit der Messe Frankfurt und unseren Ausstellern zu teilen. Oft sind es einfach und kostengünstig umzusetzende Maßnahmen, wie z.B. die erwähnte Schriftgröße, die den Aufenthalt auf dem Messegelände und am Messestand für die Besucher gleich viel angenehmer gestalten. Ganz konkret hat die Forschungsgruppe der TU vier Handlungsfelder ausgemacht, die unabhängig voneinander bearbeitet werden können und an denen wir uns orientieren.
Das erste Handlungsfeld bezieht sich auf eine direkte Wegeführung zwischen den Hallen, die sich bisher auf eine Durchgangsebene – die sogenannte Via – konzentriert hat. Tatsächlich finden im Rahmen der Buchmesse aber viele Veranstaltungen auf der Freifläche in der Mitte der Hallen, der Agora, statt. Von diesem zentralen Ort aus kann sich der Besucher bestens über eine zusätzliche Wegeführung auf der ebenerdigen 0-Ebene orientieren. Daher haben wir im letzten Jahr einen neuen Durchgang geschaffen, der ebenerdig vom Eingang City zur Agora führt, so dass unsere Besucherinnen und Besucher auf kürzestem Wege in alle Hallen finden.
Das zweite Handlungsfeld „Leitsystem 2.0“ sind wir ebenfalls schon angegangen. Auch hier ist geplant, stetig Verbesserungen umzusetzen: Bereits auf der Buchmesse 2018 haben wir Schilder und Pläne auf dem Messegelände übersichtlicher gestaltet, indem wir Doppelungen entfernt sowie Information hierarchisiert und dem jeweiligen Standort entsprechend reduziert haben. So konnte auch die Schrift auf den Schildern vergrößert und damit die Lesbarkeit verbessert werden. Mit unserem Website-Relaunch im letzten Jahr haben wir die Informationen, die wir online unseren Besuchern zur Verfügung stellen, deutlich übersichtlicher und barrierearmer gestaltet. Einige Seiten und Formulare haben wir hierfür von der Deutschen Blindenstudienanstalt (blista) auf Barrierefreiheit testen lassen.
Durch den Umbau auf dem Messegelände werden 2020 viele Ausstellerstände in neue Hallenbereiche umziehen. Dies gibt uns die Chance, tiefer in Hallenlayouts einzugreifen als das in gewachsenen Strukturen bisher möglich war, um dabei das Handlungsfeld „Raumkompetenz“ in die neuen Planungen einzubeziehen. In diesem Rahmen werden alle Hallenebenen mit einem großzügigen Eingangsbereich ausgestattet, damit ankommende Besucher sich zunächst orientieren können. Durch einen umlaufenden Gang, der zusätzlich durch einen roten Teppich gekennzeichnet sein wird, verteilt sich der Besucherstrom gleich weiter in die Tiefe der Hallen. Zu einer besseren Verteilung der Besucherströme tragen auch breitere, vertikale Gänge für besonders stark frequentierte Hallenbereiche bei. Auch sind barrierefreie Ruhebereiche mit geeignetem Mobiliar für alle Altersgruppen und Bedürfnisse geplant.
Das vierte Handlungsfeld bezieht sich unter dem Stichwort „Infopaten“ auf das Prinzip, Informationen auf mindestens zwei verschiedene Weisen zur Verfügung zu stellen: Z.B. durch Schrift auf Schildern, aber auch zusätzlich durch prägnante Symbole oder Audioinhalte. So können z.B. Menschen, bei denen ein Sinn eingeschränkt ist, einen zweiten Weg finden, Informationen zu erfassen. Ein Schritt in diese Richtung ist unser neuer Service, den wir blinden und stark sehbehinderten Besuchern auf der Buchmesse anbieten: Gegen einen geringen Unkostenbeitrag werden sie von unserem Personal über die Messe zu ihren gewünschten Ständen und Veranstaltungen begleitet. Im letzten Jahr haben wir diesen Service zum ersten Mal angeboten und positives Feedback erhalten.
Das Interview führte Andrea Walburg von imb troschke.
Es wurde zuerst auf dem imb Troschke Blog(opens in a new window) veröffentlicht.