Piper Verlegerin Felicitas von Lovenberg
75 Times: „Weiter so – und, wie The Marvelous Mrs. Maisel sagen würde: 'Tits up!‘“
Piper-Verlegerin Felicitas von Lovenberg über persönliche Erinnerungen und Gedanken zu den Zukunftsaufgaben der Frankfurter Buchmesse
Piper Verlegerin Felicitas von Lovenberg während des Interviews zur 75. Frankfurter Buchmesse im Mai 2023.
Die Frankfurter Buchmesse feiert in diesem Jahr ihre 75. Ausgabe.
Der Piper Verlag ist gemeinsam mit zwölf weiteren Verlagen zum 75. Mal, ohne eine Frankfurter Buchmesse als Aussteller zu verpassen, dabei.
Aus diesem Grund haben wir Piper-Verlegerin Felicitas von Lovenberg getroffen und mit ihr über persönliche Buchmesse-Erinnerungen, die Bedeutung der Frankfurter Buchmesse für die Branche und die Aufgaben, der sich die Frankfurter Buchmesse aus ihrer Sicht in Zukunft stellen muss gesprochen.
Sie haben die Frankfurter Buchmesse bereits in unterschiedlichsten Funktionen besucht. In welchem Jahr waren Sie das erste Mal dabei? Und wie oft waren Sie seitdem unser Gast?
Ich glaube, ich war seit 1996 jedes Jahr auf der Frankfurter Buchmesse. 1996 war ich gerade noch mitten im Studium und bin extra nach Frankfurt gereist, um die Buchmesse zu besuchen – wie die Fans von heute. Das war ein irres Erlebnis. Ich habe unglaublich gute Erinnerungen daran.
Mit meinem Eintritt in die FAZ-Feuilleton-Redaktion wurde ich erstmals auch auf die vielen Empfänge eingeladen.
Ab 2008 hat dann eine sehr besondere Buchmesse-Zeit für mich begonnen, denn die erfolgreiche FAZ-Buchmesse-Zeitung startete. Diese haben wir immer nachts produziert, damit sie in den frühen Morgenstunden in die ganzen Hotels geliefert und auf der Messe um 9 Uhr direkt verteilt werden konnte. Ich war für diese Zeitung verantwortlich und habe die Messe nochmal aus einem völlig anderen Blickwinkel wahrgenommen. Mir wurde wirklich der gesamte Buchmessen-Gossip zugetragen, das war unglaublich witzig. Die Artikel kamen zum Teil über SMS und wurden dann abgetippt oder die Kolleg*innen riefen an und haben mir live berichtet, was sie auf den Empfängen, Partys und Veranstaltungen gerade erleben. Das war eine faszinierende Zeit, die mir gezeigt hat, dass die Messe einfach ein großes, glamouröses Familientreffen ist. Und seit 2016 darf ich die Messe als Verlegerin besuchen, habe damit an unserem Stand ein „Zuhause“ in dem ganzen Trubel und es geht um unsere Bücher und Autor*innen. Das ist für mich die beste Art, die Messe zu erleben.
Welche Frankfurter Buchmesse ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Ich denke, uns allen ist noch die Frankfurter Buchmesse 2001 (9/11) in Erinnerung. Die Messe fand ja nur wenige Wochen nach den Anschlägen auf das World Trade Center statt und hatte eine ganz spezielle Atmosphäre. Das war eine Buchmesse, bei der alle das Gefühl hatten, dass ab jetzt eine neue Zeitrechnung beginnt.
Das ist zum Glück schon wieder lange her und das mulmige Gefühl hat nicht ewig angehalten, aber es war auf jeden Fall ein sehr besonderes Jahr, in dem man auch in der Verlagsbranche eine ganz große Unsicherheit spürte.
Und letztendlich haben wir seitdem durch ganz viele digitale Entwicklungen, durch Covid, jetzt durch das Aufkommen von KI, immer wieder Jahre großer Verunsicherung. Zum Glück hat sich das Buch stets als sehr krisenresistent erwiesen. Und wir haben auch alle während der Pandemie gemerkt, wie sehr die Menschen Bücher und Geschichten brauchen.
Wie war die Frankfurter Buchmesse 2021 für Sie, als wir nach unserer digitalen Ausgabe 2020 wieder in Präsenz stattgefunden haben?
Das war auch eine faszinierende Messe für mich, in dem Jahr, in dem wir alle die Hoffnung hatten, dass die Pandemie endlich vorüber geht und trotzdem: Leipzig war wieder abgesagt worden und es sind sehr viele Verlage nur mit kleinen Ständen auf die Frankfurter Buchmesse gekommen. Wir hatten bei Piper aber festgelegt, dass, wenn wir auf die Messe gehen, diese mit unserem richtigen Stand und mit allem Brimborium bestreiten. Und dadurch hatten wir dann tatsächlich auch einen Vorteil – weil wir so auffällig waren: Unser Stand war immer voll und wir haben am Messewochenende viele Bücher verkauft.
Diese Messe hat vor allem gezeigt, dass die Pandemie uns auf Dauer nicht so verändern wird, wie es zwischendurch überall hieß.
Wie bereiten Sie sich auf die Messe vor?
Vorher ist die Messe wie so ein Berg, über den man rüber muss, weil sie einfach so viel Arbeit bedeutet. Und wenn ich einen Tag vor Messeeröffnung über das Messegelände gehe, denke ich immer: „Das kann doch nicht sein, dass hier in weniger als 24 Stunden die Türen fürs Publikum geöffnet werden“. Aber dann, am nächsten Tag, ist alles strahlend schön. Den Messebauer*innen sei Dank! Und alle stehen da und sind glücklich über das Wiedersehen. Dafür machen wir die Bücher: Für die Menschen, die kommen. Das ist es ein derartiges Lebenselixier. Jeder ist allein durch die Vorbereitung eigentlich erschöpft, aber auf der Messe sind alle total glücklich. Es ist einfach ein absoluter Boost für unsere Arbeit.
Wie sieht Ihr persönliches Messeerlebnis aus? Gibt es Rituale?
Nein, tatsächlich nicht. Ich bin auf der Buchmesse leider oft so termingetrieben, dass die erste Frage immer ist: Wo ist denn dieses Jahr das International Rights Centre? Denn da sind wir Verleger*innen gemeinsam mit den Agent*innen natürlich die meiste Zeit. Und ich verbringe auch viel Zeit im Frankfurter Hof. Früher war ich genauso oft im Hessischen Hof. Dass es den nicht mehr gibt, ist übrigens für die internationale Buchgemeinschaft nach wie vor ein wirkliches Desaster. Ich kenne so viele amerikanische Verleger*innen, die sagen, ich will eigentlich erst wieder nach Frankfurt, wenn es den Hessischen Hof wieder gibt. Man muss nämlich wissen, für ein Zimmer im Hessischen Hof zur Frankfurter Buchmesse musste man jahrelang anstehen. Und wenn man einmal eins hatte, durfte man auf keinen Fall ein Jahr aussetzen, weil dann das Zimmer weg gewesen wäre.
Von 2012 bis 2023 waren Sie Mitglied im Stiftungsrat des Friedenspreises des deutschen Buchhandels. In diesem Jahr wird Autor Salman Rushdie den Preis im Rahmen der Frankfurter Buchmesse entgegennehmen. Was bedeutet die Auszeichnung für Sie?
Der Friedenspreis hat nach wie vor eine Leuchtturmfunktion in der deutschen Kultur. Allein die Fülle der Berichterstattung unterstreicht die Bedeutung dieses Preises. Und auch die Wahrnehmung des Festakts in der Paulskirche.
Die dort gehaltenen Reden haben eine Relevanz für unsere Gegenwart. Sie werden gehört, sie werden diskutiert, sie werden gesendet, gelesen und rezipiert. Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels hat eine ganz besondere politische und literarische Ausstrahlung. So ist der Friedenspreis schon sehr oft an Autor*innen gegangen, die später den Literaturnobelpreis bekommen haben. Auch daran kann man ermessen, wie wichtig diese Auszeichnung ist.
Und der Friedenspreis ist natürlich überdies der krönende Abschluss der Frankfurter Buchmesse. Die Messewoche ist lang und anstrengend, aber man bleibt bis zum Friedenspreis, weil die Verleihung zu dieser Buchwoche unbedingt dazugehört.
Salman Rushdie hat 2015 in seiner Rede zur Eröffnungs-PK der Frankfurter Buchmesse die Freiheit des Wortes herausgestellt. Inwiefern ist die Frankfurter Buchmesse Ort des demokratischen Austauschs?
Ich finde es großartig, wie politisch aufgeladen die Eröffnung der Frankfurter Buchmesse jedes Jahr ist. Die Frankfurter Buchmesse ist der wichtigste Branchentreff für die gesamte internationale Buchcommunity und gerade deswegen ist es essenziell, dass dort – wo Menschen und Bücher aufeinandertreffen – die Meinungsfreiheit gegeben ist, ein Austausch stattfindet und gefördert wird. Die politische Botschaft, die die Frankfurter Buchmesse sendet, ist aus meiner Sicht von überragender Bedeutung.
Der Piper Verlag ist seit der ersten Ausgabe der Frankfurter Buchmesse im Oktober 1949 Aussteller. Was bedeutet die Frankfurter Buchmesse für den Verlag?
Die Frankfurter Buchmesse ist wichtig und genauso ist der Piper Verlag auf der Frankfurter Buchmesse wichtig. Man muss dabei sein. Wer nicht hin geht, gehört nicht dazu. Wir fahren hin, um unsere Bücher stolz der Öffentlichkeit zu präsentieren, um Autor*innen ins Gespräch zu bringen und Themen zu platzieren. Und die Reaktionen der Leser*innen, der Journalist*innen, des Messepublikums im Allgemeinen ist das, was daran so beflügelt. Zu sehen, wohin es die Besucher*innen zieht, welches Buch sie in die Hand nehmen, welche*n Autor*in sie unbedingt sehen wollen, welches das meistgeklaute Buch der Messe ist, wonach wir gefragt werden, welches Cover gut ankommt, wie die einzelnen Titel wirken … Und dieses Gefühl des Mittendrinseins lieben natürlich auch die Autor*innen.
Mitarbeiter tragen am 08.10.1963 vor der Eröffnungsveranstaltung der Buchmesse Bücherstapel durch die Messehalle. Die 15. Internationale Frankfurter Buchmesse findet vom 08.10. bis zum 14.10.1963 auf dem Messegelände in Frankfurt statt.
Mit der Bücherschau und der Autor*innenpräsentation haben Sie im Grunde auch schon das Ziel des Piper Verlags auf der Frankfurter Buchmesse genannt. Hat sich das Ziel im Laufe der Jahre verändert?
Das hat sich nicht verändert. Es ging immer um Kontaktpflege, um auch international zu zeigen, was den Verlag ausmacht, und es geht vor allem immer darum, zu zeigen: Liebes Publikum, das hier sind unsere Bücher!
Welche Autor*innen und Persönlichkeiten haben die Piper Messeauftritte besonders geprägt?
Auf jeden Fall Margaret Atwood, die ja auch mit dem Friedenspreis ausgezeichnet wurde und die beim Gastlandauftritt von Kanada 2020/2021 eine prägende Rolle eingenommen hat. Sie ist eine der geistesgegenwärtigsten Zeitgenossinnen, die wir auf diesem Planeten haben. Und das sage ich jetzt nicht nur, weil sie unsere Autorin ist. Margaret Atwood ist von einer Präsenz, einer Intelligenz und einer Wahrhaftigkeit, die man suchen muss, und selbst, wenn man sie nur zehn Minuten erlebt, spürt man das. Und insofern war es sehr besonders, als sie auf der Messe war.
Wenn Hape Kerkeling kommt, ist das natürlich auch sehr prägend. Als sein „Ich bin dann mal weg“ erschien und sich zum meistverkauften Buch der deutschen Nachkriegszeit entwickelte, haben die Besucher*innen vor lauter Begeisterung den Büchertisch umgerannt, an dem er zum Signieren saß. Hape Kerkeling und unsere Pressechefin mussten damals auf legendäre Weise flüchten.
Aber auch darüber hinaus gilt: Es ist immer schön, dass sich unsere Autor*innen am Messestand sammeln und dass man sich freut, einander zu sehen. Genauso geht es mir mit anderen Verleger*innen, Lektor*innen und Branchen-Kolleg*innen. Dieser Austausch, diese Vergewisserung des Gemeinsamen der Branche ist unersetzlich.
Welches Utensil darf auf keiner Buchmesse fehlen?
Piper hat Buchlampen, die über dem Empfang bei uns am Messestand hängen, und wir freuen uns jedes Jahr, wenn die Messebauer*innen diese auspacken. Sie sind aus ganz, ganz zartem Pergament und sehen aus wie ein geöffnetes Buch, auf dem seitlich Piper und die Imprints des Verlages stehen. Ich habe diese Lampen immer geliebt und habe mich deshalb sehr darüber gefreut, dass meine Kolleg*innen mir auch eine zum Geburtstag geschenkt haben. Jetzt habe ich also eine so schöne Lampe zuhause und das erinnert mich tatsächlich auch immer an die Messe.
Wie sollte die Messe der Zukunft aussehen? Was sollte sie der Branche bieten?
Ich glaube, dass die Messe die Verantwortung hat, den Austausch über internationale Branchenthemen zu ermöglichen, zu fördern und auch fast schon zu forcieren. Momentan warten alle auf den AI-Act der Europäischen Union, der aus meiner Sicht nicht schnell genug kommen kann. Die Messe muss in Zukunft mehr denn je nicht nur das Individuum sehen – also sozusagen den Bedürfnissen der einzelnen Aussteller und Teilnehmer*in gerecht werden –, sondern es wird sehr stark auch darum gehen, die Weichen für die globalen Themen richtig zu stellen. Wir sind eben auch alle Wärter*innen des Urheberrechts und sind gewissermaßen auch die Gatekeeper für Qualität. Noch machen wir alle Bücher von Menschen für Menschen und ich glaube, dass die meisten sich auch wünschen, dass das so bleibt, ohne dass man deswegen neue Technologien nicht schätzt oder nutzt. Aber wir haben die Verantwortung, da einen guten Weg zu finden. Das sind Dinge, die kann man nicht allein bewältigen, sondern dazu braucht man Mitstreiter*innen. Und denen begegnet man auf der Frankfurter Buchmesse.
Liebe Felicitas von Lovenberg, herzlichen Dank für dieses ausführliche und spannende Gespräch. Zum Abschluss hätten wir gerne gewusst: Was würden Sie auf eine Glückwunschkarte für die Frankfurter Buchmesse schreiben?
Ich würde wahrscheinlich einfach drauf schreiben: „Weiter so – und, wie The Marvelous Mrs. Maisel sagen würde:,Tits up!‘“.
Auf der #fbm23 finden Sie den Piper Verlag hier: Halle 3.0/ Stand A55
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