Martin Schult
Martin Schult, Leiter der Geschäftsstelle des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels
Martin Schult © Ullstein Verlag
Paulskirche 1950 © Frankfurter Buchmesse
Manche Fotografien sind in die Geschichte eingegangen, entweder weil sie selbst zu einem Teil der Erinnerung geworden sind oder wegen des Ereignisses, das sie abbilden. Eine dieser Fotografien zeigt die Frankfurter Paulskirche, über deren Eingang ein großes Banner angebracht ist – „Frankfurter Buchmesse 1950“.
Das Bild stammt von Ursula Assmus, die viele auch als UA kannten. Sie war auf das Gerüst geklettert, das am Römer (damals noch eine Ruine) angebracht war, um von hier aus die Paulskirche (damals keine Ruine mehr) zu fotografieren.
UA war beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels angestellt, der nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Sitz von Leipzig nach Frankfurt verlagert hatte. Hier begann sie als einfache Bürokraft, doch als sie 1986 in den Ruhestand ging, hatte sie mehr als dreißig Jahre lang den Friedenpreis organisiert. Als „Mutter aller Friedenspreisträger“ wurde sie sogar mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.
Jahrzehnte später übernahm ich die Organisation des Friedenspreises. UA, die als Rentnerin noch bis 2001 das Friedenspreisarchiv aufgebaut und gepflegt hatte, fand in mir einen begeisterten Zuhörer, dem sie alles über den Preis, die von ihr betreuten Preisträger*innen und die Buchmesse erzählen konnte. Zum Beispiel …
… über die ersten Buchmessen, die 1949 und 1950 in der Paulskirche stattfanden, weil das Messegelände noch nicht wieder aufgebaut war. Damals war es UAs Aufgabe, vergünstigte Bus- und Bahnfahrkarten sowie Essengutscheine an die Buchhändler*innen zu verschicken, damit sie aus den verschiedenen Zonen Deutschlands nach Frankfurt zur Buchmesse reisen konnten.
… über die erste Friedenspreisverleihung in der Paulskirche im Jahr 1951. Vormittags hielt dort der Börsenverein noch seine Hauptversammlung ab. Anschließend sollte der Preis an Albert Schweitzer verliehen werden. Doch die Mitglieder blieben und bildeten mit den zur Verleihung eingeladenen Gästen ein so großes Publikum, wie es die Paulskirche nie weder erleben sollte.
… über den kurzsichtigen Ernst Bloch, der 1967 in der Paulskirche sein Manuskript nicht entziffern konnte und seine Friedenspreisrede somit improvisieren musste. Tags zuvor, auf der Buchmesse, rauchte der oft als Kommunist beschimpfte Bloch mit dem damaligen Verteidigungsminister Gerhard Schröder (der CDUler, nicht der von der SPD) mit großem Vergnügen eine Zigarre – wozu sicher auch der SPDler nicht nein gesagt hätte.
… über Astrid Lindgren, die 1978 ihre Friedenspreisrede nicht hätte halten sollen (der Vorsteher des Börsenvereins fand sie nicht geeignet) und somit fast zu Hause in Stockholm geblieben wäre. UA wurde gebeten, zu vermitteln und war erfolgreich. Astrid Lindgren kam und hielt ihre Rede. Zwei Tage zuvor traf sie sich mit hunderten Kindern auf der Buchmesse, was manch einen Fachbesucher erzürnte, war man doch angereist, um Geschäfte zu machen und nicht, um überall „Pippi! Pippi!“-Rufe zu hören.
Das sind nur vier von unzähligen weiteren Geschichten aus der Anfangszeit der Buchmesse und des Friedenspreises. Ursula „UA“ Assmus, die 2017 mit 96 Jahren gestorben ist, hätte nicht nur einen von den 75 Stühlen dieser Ausstellung verdient, sondern gleich ein ganzes Dutzend. Und doch war sie nur eine unter den vielen im Hintergrund wirbelnden und arbeitenden Menschen, ohne die es die Frankfurter Buchmesse in dieser Form niemals gegeben hätte.
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