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Team Creative Women Publishing

Das Gründerteam von Creative Women Publishing, von rechts nach links: Oksana Borovets, Natalia Starostina, Iryna Nikolaichuk, Slava Svitova, Iryna Lisova, Dasha Nepochatova, Halya Verheles

© Creative Women Publishing

Creative Women Publishing ist mehr als ein Verlag – es ist eine Bewegung. Gegründet von sieben ukrainischen Frauen, die mit ihren Büchern Tabus brechen, Stimmen stärken und eine neue Gemeinschaft des Lesens schaffen. Für ihre herausragende Arbeit wurden sie beim ukrainischen Chytomo Award for Outstanding Achievements in Publishing(Öffnet neues Fenster) mit dem Frankfurter Buchmesse Sonderpreis ausgezeichnet und sind daher auf der FBM25 mit einem Stand vertreten. Wir sprachen aus diesem Anlass mit den Co-Gründerinnen Iryna Lisova und Slava Svitova.

 

Ein Verlag, sieben Gründerinnen: Wann und wie haben Sie sich kennengelernt und was hat Sie dazu bewogen, gemeinsam Bücher für Frauen zu machen?

Iryna Lisova: Es war einmal ein Frauenkreis von vier Frauen, die sich einmal in der Woche in einer ihrer Küchen trafen, um sich gegenseitig zu unterstützen, zuzuhören und sich zu stärken. Nach einem Jahr kam eine fünfte fRau hinzu und gemeinsam gründeten sie einen Raum für Frauen-Co-Working und Veranstaltungen, den Creative Women Space, im Zentrum von Kiew, Ukraine. Nach zwei arbeitsreichen Jahren wurde der Raum wegen der COVID-19-Pandemie geschlossen. Genau zu dieser Zeit, Anfang 2020, keimte in uns die Idee, einen Verlag zu gründen, da wir alle in gewisser Weise mit Büchern und Literatur zu tun hatten. Dann nahmen wir zwei weitere Expertinnen aus dem Kreis derer auf, die unseren Kreativraum oft als Dozentinnen oder Gäste besuchten und über Erfahrungen im Verlagswesen verfügten. Und so begann die Geschichte.

 

In Ihren Büchern geht es sehr stark um Veränderung, sie brechen Tabus auf und decken herrschende Machtverhältnisse auf. Wirkt sich die Kriegssituation auf die Stellung der Frau/Weiblichkeit in der Ukraine aus?

Iryna Lisova: Die russische Kriegsoffensive, mit der die Ukraine seit 2014 konfrontiert ist, hat die Rolle der Frau in der Gesellschaft verändert. Man könnte meinen, dass in Kriegszeiten patriarchalische Denkweisen vorherrschen. Die Frauen, die wegen der groß angelegten Invasion ins Ausland gegangen sind, oder jene, die in der Ukraine geblieben sind und deren Partner in der Armee dienen, leben mit der doppelten Last der Elternschaft. Wenn sie sich früher die Kinderbetreuung mit ihren Partnern teilten, leben sie jetzt fast wie alleinerziehende Mütter.

Gleichzeitig hat sich die Zahl der Frauen, die in den ukrainischen Streitkräften dienen, enorm erhöht - mehr als 60 Tausend Frauen sind heute im Dienst der Armee. Der Arbeitsmarkt hat sich drastisch verändert, und Frauen sind in Berufen gefragt, die in der Vergangenheit eher als Männerberufe galten. Dies liegt ebenfalls an der Mobilisierung der Männer. So übernehmen Frauen heute die Verantwortung für ihren Haushalt, sind alleinige Betreuerinnen, leisten Dienst und engagieren sich ehrenamtlich - sie rocken buchstäblich.

 

Sie möchten rund um Ihren Verlag eine Community aus Leserinnen aufbauen. Was erhoffen Sie sich davon, und wie setzen Sie dieses Konzept konkret um?

Slava Svitova: Ich habe einmal gehört, dass ein Ruf das ist, was die Leute über dich sagen, wenn du nicht im Raum bist. Wir schätzen die Frauen-Community, die sich um unseren Creative Women Publishing allmählich bildet, sehr, vor allem weil die Geschichte unseres Verlags nicht typisch ist. Wir wurden ohne jegliches finanzielles Kapital gegründet, sondern mit Hilfe unserer Gemeinschaft (wir sammelten das Geld für unser erstes Buch auf der ukrainischen Crowdfunding-Plattform Biggggidea, wo 333 Unterstützer*innen an unsere Idee glaubten und unser erstes Buch unterstützten). So hat unsere Geschichte begonnen und so entwickelt sie sich weiter, und die Gemeinschaft der meist weiblichen, aber auch männlichen Leser*innen spielt dabei eine sehr wichtige Rolle. Denn wir schaffen für die Menschen, und jedes Mal, wenn ein Buch bei unserem Publikum ankommt, ist das ein Grund mehr zu feiern, dass wir alles richtig gemacht haben, dass wir die Bedürfnisse gehört haben oder dass wir ein wichtiges Thema gefunden haben, das andere berührt und beeinflusst. 

Unser feministischer Verlag ist tief in den Werten verwurzelt, die wir als Team teilen. Diese Werte sind wie ein Radar oder ein Leuchtturm, der Gleichgesinnte anzieht: weibliches Empowerment, Verletzlichkeit, Transparenz, Dialog, Gleichberechtigung und Kreativität. Wir glauben, dass eine Gemeinschaft von Frauen, die lesen und schreiben, in der Lage ist, positive Veränderungen in der Gesellschaft herbeizuführen, und je mehr Frauen wir auf diese Weise um die Bücher versammeln, desto besser. Natalia Kobrynska, die erste Feministin und Gründerin der organisierten ukrainischen Frauenbewegung im Jahr 1884, verbreitete Ideen über die Bedeutung von Büchern im Leben von Frauen und darüber, wie Bücher Frauen beeinflussen, inspirieren und bilden können. Heutzutage sind wir Natalias Nachfolgerinnen. Wir glauben an dieselben Werte, jetzt, im Jahr 2025, da die Ukraine für ihre Unabhängigkeit und Souveränität kämpft. Natalia Kobrynska versuchte schon vor vielen Jahren, im 19. Jahrhundert, diese fortschrittlichen Ideen zu verbreiten, als die Ukraine noch keinen eigenen Staat hatte und zwischen dem russischen und dem österreichisch-ungarischen Reich zerrissen war. Da Natalia Kobrynska kein anderes Mittel als ein Buch zur Verfügung stand, vereinte sie die Ukraine, indem sie Schriftstellerinnen aus dem Westen und Osten der Ukraine in einem Frauenalmanach mit dem Titel „Der erste Kranz“ zusammenführte. Er wurde zu einem Symbol für weibliches Schreiben und Schwesternschaft.

137 Jahre später hat unser kleiner feministischer Verlag den Almanach neu aufgelegt, so dass er wie ein Phönix aus der Asche auf der Landkarte des kulturellen und literarischen Lebens der modernen Ukraine wieder auftauchte und zum Bestseller wurde. Wenn Frauen sich zusammentun, geschehen wunderbare Dinge, und ein Buch aus dem 19. Jahrhundert und die darin angesprochenen Themen sind auch im Jahr 2025 noch interessant und relevant. Mit jedem neuen Buch, das wir zur Veröffentlichung vorbereiten, wächst unser Publikum, und das gibt uns Hoffnung. Denn eine Frau mit einem Buch ist gefährlich. Sie beginnt, Ideen zu haben und diese Ideen in die Tat umzusetzen, indem sie Start-ups initiiert, Arbeitsplätze zur Verfügung stellt und ihre Erfahrungen mit anderen Frauen teilt. All dies schafft eine stärkere Gemeinschaft und ein stärkeres Land.

 

Sie werden 2025 zum ersten Mal mit einem Stand auf der FBM vertreten sein. Welche Wünsche/Ambitionen haben Sie dafür?

Slava Svitova: Mit unserem kleinen feministischen Verlag Creative Women Publishing auf der Frankfurter Buchmesse vertreten zu sein, bedeutet nicht nur, unsere Bücher und unsere Marke zu repräsentieren, sondern vor allem auch die ukrainische Frauenbewegung und den ukrainischen Feminismus, der bis ins Jahr 1884 zurückreicht und eine nachhaltige Tradition hat, die für das europäische Publikum interessant sein könnte. Wir sind sehr daran interessiert, partnerschaftliche Brücken zu bauen und am internationalen Networking teilzunehmen, da dies immer ein Weg ist, um neue Ideen zu finden und sowohl historische als auch moderne ukrainische Frauenstimmen zu repräsentieren, die viel darüber aussagen, wer wir heute in der Ukraine sind. In unserem Portfolio befindet sich ein Buch mit dem Titel „Cry, Sister, Laugh“, ein wunderschön geschriebenes tagebuchartiges Buch über die Sinnlichkeit von Frauen und wie sich die Privatsphäre während des Krieges verändert hat. Violetta Kim ist eine junge Autorin aus Dnipro, die sich in ihrem Buch auf die Suche nach der verlorenen Schwesternschaft macht und persönliche Veränderungen erforscht. Das Buch besteht aus 16 Essays der Autorin und Auszügen aus ausführlichen Interviews mit 23 Frauen. Wir sind zuversichtlich, dass dieses Buch den europäischen Leser*innen auf Englisch und/oder in anderen Sprachen zur Verfügung stehen könnte, um ihnen zu helfen, den Kontext der ukrainischen Frauen zu verstehen, die diesen existenziellen Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt, erleben und gleichzeitig zum Inbegriff von Verletzlichkeit, Stärke und Vitalität werden.

 

Mehr zu Creative Women Publishing https://www.creativewomenpublishing.com.ua/(Öffnet neues Fenster) 

Mehr zum Chytomo Award https://award.chytomo.com/en/(Öffnet neues Fenster) 

 

Das Interview führte Katrin Hage, PR Manager Frankfurter Buchmesse