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Beltz & Gelberg-Verlag, Gulliver Verlag

© Silv Malkmus

Bücher mit Signalwirkung: Das Kinder- und Jugendbuchprogramm Beltz & Gelberg feierte 2021 sein 50. Jubiläum, das dazugehörige Programm Gulliver blickt auf stolze 35 Jahre zurück. Beide Verlage gehören zur traditionsreichen, inhabergeführten Verlagsgruppe Beltz, einem der wichtigsten Bildungs- und Psychologie-Verlage Deutschlands. Wie feiert man ein Jubiläum mitten in der Pandemie? Wie hält man die Balance zwischen Tradition und Innovation? Und welche Pläne hat die 7. Gesellschafter-Generation? Wir haben nachgefragt.  

Marianne Rübelmann ist seit 2005 Verlegerin und Geschäftsführerin der Verlagsgruppe. Seit 2007 ist Petra Albers für das Programm von Beltz & Gelberg und von Gulliver verantwortlich. Franziska Schiebe, seit 2013 im Unternehmen, leitet das Marketing und den Direktvertrieb. 

 

J.B. Das 50. Jubiläum von Beltz & Gelberg und das 35. Jubiläum von Gulliver im letzten Jahr fielen mitten in den 2. Corona-Sommer. Wie hat sich das für Sie angefühlt? Was konnten sie umsetzen von all Ihren Plänen?  

M.R. Wir schauen natürlich eher noch auf die 180 Jahre des Gesamtunternehmens. Aber 50 Jahre Beltz & Gelberg sind toll. Dieses Programm war die große Gründung innerhalb dieser 180 Jahre. Es ist für uns heute auch der größte Umsatzanteil in der Verlagsgruppe. 

P.A. Es war uns sofort klar, dass wir kein großes Verlagsfest mit allen unseren Autorinnen und Autoren feiern können, sondern dass wir uns etwas überlegen müssen, das dezentral Sichtbarkeit und Begegnung schafft. Und so ist diese Idee des Jubiläumsbus geboren worden, der durchs Land fährt und Station macht bei unseren Autoren und den Kunden. 

J.B. Wenn man zurückblickt auf die Gründungsjahre von Beltz & Gelberg: War das Kinderbuch am Anfang nicht eher ein Fremdkörper innerhalb des Verlages? 

P.A. Ich würde nicht sagen, dass es ein Fremdkörper war. Es war ja nicht nur eine Verlagsgründung, sondern auch eine Gründung vor dem Hintergrund einer eigenen Druckerei und eine logische Erweiterung vor dem Hintergrund eines stark wachsenden pädagogischen Verlagsprogramms. 

M.R. Letztlich war es ein glückliches Treffen zwischen meinem Vater, Dr. Manfred Beltz Rübelmann, und Hans-Joachim Gelberg auf einer Buchmesse, wo Herr Gelberg meinen Vater ansprach und sagte, er hätte ein paar Ideen. Mein Vater hat gerne Neues angefangen, so kam es später auch zum Psychologie-Programm. Auch Frank Schwoerer (den langjährigen Verleger des Campus Verlags, Anmerkung der Redaktion) hat er auf einer Buchmesse kennengelernt – und dann hat man losgelegt. Das Agreement war: Der eine bringt das Kapital ein, der andere die Ideen. Und so haben sie viele Jahre gut zusammengearbeitet. 

J.B. Eine zufällige Begegnung auf einer Buchmesse mit weitreichenden Folgen… 

M.R. Ja, und ein generelles Interesse meines Vaters, das Unternehmen zu entwickeln, weiterzukommen und aus dem ersten Ansatz bei Beltz mehr zu machen. 

J.B. Wie ist die starke Identität von Beltz & Gelberg entstanden, die Markenführung mit dem Orange? 

M.R. Es war die Zeit, in der die Bücher sehr klare Farben hatten. Hans-Joachim Gelberg wollte vor allem ein Zeichen setzen, auch mit Themen. Mein Vater hat das unterstützt. Wir haben ganz früh in den 1970er Jahren Aufklärungsbücher für Kinder und Jugendliche gemacht. Ich habe vor ein paar Wochen im Archiv ein Buch über Nachhaltigkeit gefunden, ebenfalls aus den 1970ern, das könnte man heute genauso wieder auflegen.  

P.A. Hans-Joachim Gelberg kam aus dem Buchhandel. Er kannte das Geschäft sehr genau und er hatte dazu die Vision eines Kinderbuchprogramms.  

J.B. Wenn man an Themen wie Ökologie und Aufklärung denkt, war offenbar auch ein starkes Sendungsbewusstsein dabei… 

P.A. Hans-Joachim kam von der Literatur. Er war immer der Meinung, wer für Erwachsene schreiben kann, kann auch für Kinder schreiben. So hat er viele Autoren und Autorinnen angesprochen. Und die Gesellschaft war bereit, deren Themen aufzunehmen. Das Sachbuch war weniger sein Fall, aber er hat die Themen literarisch aufgegriffen, mit Autor*innen wie Christine Nöstlinger, Leonie Ossowski und anderen. 

J.B. Ein wichtiger Baustein innerhalb des Jugendbuchprogramms waren Biografien.  

P.A. Ja, die Idee einer Reihe mit erzählten Lebensgeschichten greift auf die Zeit der verbrannten Bücher zurück, und dass die Lebensgeschichten dieser vergessenen Autor*innen wiederbelebt werden. Hans-Joachim Gelberg hat das auch pragmatisch umgesetzt: Er hat Biografien von Menschen verlegt, die nicht mehr lebten, weil das urheberrechtlich keine Probleme schaffte. So ist in den Jahren von 1980 bis 2000 eine große Reihe entstanden, mit Büchern von eher geringem Umfang und als Broschurausgabe. Denn es mussten kostengünstige Bücher sein, damit man ein großes Publikum erreichte. Das war das Konzept über viele Jahre. 

J.B. Waren das alles Originalausgaben, oder gab es darunter auch schon Übersetzungen? 

P.A. Nein, Hans-Joachim kam stark von der deutschsprachigen Literatur. Übersetzungen brachten erst später die Lektor*innen ein, mit denen er zusammengearbeitet hat. Er gab dem erzählenden Kinderbuch und den Bilderbüchern einen großen Platz im Programm. Er hat auch Nikolaus Heidelbach mit entdeckt und ihm die Möglichkeit gegeben, sich zu entfalten; der ja auch auf dem Grat zwischen Erwachsenen- und Kinderbuch wandelt. 

J.B. Und umgekehrt – gab es ein internationales Interesse an den Büchern? 

P.A. Auf jeden Fall. An den Werken von Janosch und Mirjam Pressler bestand bereits früh Interesse. In den 1980ern begannen wir in größerem Stil, Rechte ins Ausland zu verkaufen. Und in den letzten zehn Jahren haben wir unser Lizenzgeschäft noch einmal sehr erweitern können.  
Wir verkaufen sehr viel nach Spanien, Frankreich, Italien, in die Niederlande und nach Skandinavien, extrem gut nach China und natürlich nach Korea. Wir haben den Lockdown in China deutlich gespürt, im letzten Jahr haben die Verkäufe wieder zugelegt. Wir haben auch einige Rechte in die Türkei verkauft, vor allem Klassiker wie z. B. Härtling, Nöstlinger und Janosch. Das alles hat sicher auch mit der Öffnung der Länder zu tun.   

J.B. Ihnen ist es gelungen, viele Autoren zum Klassiker werden zu lassen. Das ist eine außergewöhnliche Stärke. 

M.R. Das liegt auch daran, dass wir in der Schule angekommen sind mit unseren Autor*innen und bis heute in der Schule gelesen werden. 

P.A. Ja, das ist auch etwas Außergewöhnliches an diesem Verlag: Wir halten lange fest an Rechten. Das ist heute schwieriger, weil man jährlich eine gewisse Zahl von Büchern verkaufen muss, damit sich das Buch irgendwie trägt. Jeden Titel von Peter Härtling oder Klaus Kordon können wir nicht mehr halten, aber es muss viel passieren, bis wir Bücher nicht mehr nachdrucken und die Rechte zurückgeben. 

J.B. Sie hatten eingangs einen Titel zum Thema Nachhaltigkeit aus den 70er Jahren erwähnt. Nun machen Sie die Reihe 100% Naturbuch. Rechnet sich das für Sie auch ökonomisch? 

M.R. Was ich für unsere graphischen Betriebe wie auch hier im Verlag nicht möchte, ist ein Greenwashing, das „sich Freikaufen“ durch Zertifikate, solange wir Verlage am Ende Tausende von Büchern samt Folie wegwerfen. Wir haben bei unseren graphischen Betrieben in Bad Langensalza Zertifikate und bezahlen auch viel Geld dafür, aber das kann nicht das Ziel sein, sondern nur ein Anfang. Das Ziel muss sein, so zu arbeiten, dass wir möglichst wenig Strom, möglichst wenig Chemie verbrauchen. Was etwas bringt – wir machen es auch – ist der Einsatz von Ökostrom. Aber solange Verlage ihre Bücher immer noch veredeln – das ist die pure Chemie. Das muss sich verändern. Wir überlegen bei jedem Produkt, wie wir es ökologisch bestmöglich herstellen können. 

P.A. Das Problem ist auch, dass wir zu oft mehr produzieren als wir verkaufen, weil wir so viele Exemplare für den Handel vorrätig halten müssen. D. h. wir arbeiten immer mit einer gewissen Remissionsquote. 
Die Reihe 100% Naturbücher können wir uns leisten, weil wir inzwischen viele Lizenzen vergeben, auch als Ko-Produktionen, so dass wir große Auflagen drucken können. 

J.B. Ein Beweis dafür, dass es der richtige Weg ist.  

P.A. Mit den Naturbüchern sind wir in der Tat Vorreiter. Der entscheidende Punkt ist aber, dass die Kund*innen bereit sind, mehr für die Bücher zu bezahlen. Was die Menschen haben wollen und was sie bereit sind, dafür zu bezahlen, geht zum Teil meilenweit auseinander. Wir haben relativ kaufkräftige Kund*innen, aber auch sie gucken auf den Preis. 

J.B. Ich glaube, dass die Kunden bereit sind, für Qualität mehr Geld auszugeben. 

F.S. Es gibt gewisse Preisgrenzen im Kinderbuch, wie das klassische Geburtstaggeschenk, was nicht mehr als 10 € kosten darf, auch im Bereich Schullektüren sind 10 € die absolute Obergrenze. Aber ja, unsere ganze Branche muss endlich anfangen, die Preise anzuheben und auch wir beginnen bereits damit. 

J.B. Verlage stehen ja im Zentrum von identitäts- und diversitätspolitischen Erwartungen. Mich würden Ihre Erfahrungen interessieren.  

P.A. Ein großes Thema. Wir betrachten jeden Titel genau, aber wir „modernisieren“ unsere Klassiker nicht. Es gab einen Fall bei Christine Nöstlinger, den habe ich mit ihren Töchtern besprochen und sind gemeinsam zu dem Ergebnis gekommen, dass Nöstlinger die Stelle selbst nicht geändert hätte, also haben wir sie belassen. Das war danach auch kein Problem mehr. Bei Janosch hatten wir vor einer Weile den Fall, dass die Pfote des Protagonisten auf Brusthöhe einer Frau lag, auch das haben wir gelassen.  Wir wägen immer ab. 
Wir achten nicht nur auf den Text, sondern auch auf das Bild. Auch die Illustrator*innen müssen lernen, die Vielfalt darzustellen. Man kann nicht einfach einer Gesichtsform eine andere Farbe geben.  

J.B. Stichwort „sensitivity reader“ – ist das für Sie ein Thema?  

P.A. Im nächsten Jahr erschient ein Buch über eine Transperson. Der Text wurde von einem Sensitivity Reader gegengelesen, der uns entscheidende Hinweise gegeben hat, die wir nicht alle hätten sehen können. Aber entscheiden muss der Verlag – auch wenn da manchmal die Meinungen auseinandergehen. 

J.B. Vielen herzlichen Dank für das Gespräch. 

 

Dieses Gespräch ist die gekürzte Fassung eines Interviews, das Juergen Boos, der Direktor der Frankfurter Buchmesse, im Februar 2022 im Verlagssitz der Verlagsgruppe Beltz in Weinheim geführt hat. Das Interview in voller Länge können Sie in englischer Sprache in der aktuellen Ausgabe von GERMAN STORIES – NEWS FROM FRANKFURT lesen. (2022_FBM_Magazin.pdf (german-stories.de)(Öffnet neues Fenster)