Direkt zum Inhalt
Marlon Brand

© Marlon Brand

Marlon Brand spricht auf seinem Kanal @booksaregayasfuck ausschließlich über queere Literatur. Im Pride Month Juni wird er der Instagram-Community der Frankfurter Buchmesse jeden Sonntag eine queere Buchempfehlung aus Italien, dem Gastland der #fbm24, vorstellen.


Warum er sich dafür entschieden hat, sich auf seinem Kanal auf queere Themen zu konzentrieren, wie er sich mit seinem Kollegen Tobi Schiller auf die Auswahl ihres queeren Kanons einigt und ob die Titelwahl für den Pride Month eine leichte war, hat er uns vorab im Interview verraten. 

Auf deinem Instagram-Kanal @booksaregayasfuck steht queere Literatur klar im Fokus. Was hat dich dazu bewegt, dich in deinem Blog ausschließlich auf queere Literatur zu konzentrieren?


Ich habe Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft studiert. Queerness hat dabei in den Seminaren und Vorlesungen als literaturwissenschaftliches Thema selten eine Rolle gespielt, selbst bei Autor*innen wie Thomas Mann, Marcel Proust, Oscar Wilde oder Virginia Woolf. Bei der Produktion wie auch bei der Rezeption von Literatur ist Queerness sicherlich nicht immer das leitende Motiv, doch es nährt beide Prozesse – bewusst wie unbewusst. Mich hat das Zusammenspiel von Queerness und anderen Themen, Motiven, Stoffen, etc. interessiert, ohne Texte deswegen auf diesen einen Aspekt ‚reduzieren‘ zu müssen. Natürlich auch weil ich meine Lebensrealität als schwules Arbeiterkind in einem akademischen Umfeld in keinem der Texte finden konnte. Ich war es leid, nur diese Übersetzungsarbeit in der Literatur leisten zu müssen, also fremde Lebensrealitäten auf die eigene zu übertragen (was ich im Allgemeinen aber für sehr wichtig halte). Ich habe also kurzerhand nach einem deutschsprachigen Blog gesucht, um dazu zu recherchieren und vielleicht auch in den Austausch zu gehen. Als ich nichts Vergleichbares finden konnte, war dann schnell die Idee geboren, selbst einen Blog auf die Beine zu stellen.


Mit deinem Kanal schaffst du Sichtbarkeit für queere Titel. Wie ist der Bereich der queeren Literatur aus deiner Sicht auf dem Buchmarkt allgemein und auch auf Messen repräsentiert? Ist die Community gut vernetzt?


Verglichen mit dem allmächtigen amerikanischen Buchmarkt ist sowohl was die Repräsentation als auch die Vernetzung betrifft sicherlich noch Luft nach oben da. Ich habe aber den Eindruck, dass sich auf dem Buchmarkt aktuell viel tut – das hat auch etwas damit zu tun, dass ‚Blutbuch‘ von Kim de l’Horizon 2022 den Deutschen Buchpreis gewonnen hat. Die Buchbranche hat (hoffentlich) erkannt, dass queere Literatur experimentell und herausfordernd sein und gleichzeitig von einem breiten Publikum gelesen werden kann. Das betrifft zumindest viele der großen Verlage, die kleinen unabhängigen waren schon immer mutiger. Darüber hinaus gibt es ja auch queere Verlage wie beispielsweise den Albino Verlag, die queere Texte und Werke veröffentlichen, die im Programm von Publikumsverlagen keinen Platz finden würden. In diesem Frühjahr sind aber auch insgesamt gefühlt so viele queere Titel wie noch nie erschienen. Ich hoffe allerdings, dass der Buchmarkt diese Entwicklung nicht als bloßen Trend wahrnimmt.
Möglich ist das alles aber auch, weil es so viele engagierte Akteur*innen gibt, die sich für queere Literatur einsetzen. Die Queer Media Society, in der Alexander Graeff für den Bereich Literatur verantwortlich ist, hat ja die Aktion #PrideBuch ins Leben gerufen, mit der in Buchhandlungen und im Netz auf queere Literatur aufmerksam gemacht werden soll, und organisiert Podiumsdiskussionen auf Messen. 


Gemeinsam mit Tobi Schiller gibst du den Newsletter „Queerer Kanon?“ heraus. Wie stellt ihr diesen zusammen? Legt ihr die Themen und Titel gemeinsam fest? Und: Seid ihr euch dabei immer einig?


Wir tauschen uns regelmäßig darüber aus, was wir aktuell lesen und entscheiden dann gemeinsam, welches der Bücher wir vorstellen. Im Vornherein legen wir uns also selten auf Themen, Werke oder Autor*innen fest, die unbedingt in einer Ausgabe vertreten sein müssen.  Wir versuchen aber schon darauf zu achten, dass wir in unserer Auswahl bestehende Ausschlussmechanismen und Hierarchien vermeiden und nicht nur schwule weiße Männer aus dem englischen Sprachraum vorstellen. Letzten Endes sind aber auch wir in unserer Auswahl beschränkt, da beispielsweise aus kleinen Sprachen wenig Queeres übersetzt wird oder bestimmte Texte vergriffen sind. Und auch wir sind nur zwei schwule cis Männer – schon unsere Perspektive ist begrenzt. Aber auch für all das steht das Fragezeichen im Titel des Newsletters. Schon allein deswegen müssen Tobi und ich auch uns nicht immer einig sein.
 

Italien ist Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2024. Anlässlich des Pride Month im Juni hast du für uns einige queere italienische Titel ausgewählt. War das eine einfache Aufgabe oder eine Herausforderung?
Gibt es Themen, die dir wiederholt begegnet sind? 


Es gibt natürlich queere Literatur aus Italien, die auch ins Deutsche übersetzt wurde, das sind aber vereinzelte Werke (wenn man Kultautoren wie Pier Paolo Pasolini mal außenvor lässt) – und vor allem Texte, die sich einem schwulen Protagonisten widmen – die oft auch nur noch antiquarisch zu finden ist. Wer also lesbische oder trans Literatur in deutscher Übersetzung sucht, wird wenig bis gar nichts finden. Kleine unabhängige Verlage wie der nonsolo Verlag veröffentlichen aber Autor*innen wie Gaia Manzini und Maurizio Fiorino und auch die großen Publikumsverlage veröffentlichen passend zum Gastland immerhin ein paar queere Titel.


Die Geschichte Italiens ist ja eine bewegte Geschichte und das spiegelt ihre (queere) Literatur auch wieder. Die Thematisierung von Faschismus, Kommunismus und homosozialer Männerbünde ist wiederkehrend sowie die Auseinandersetzung mit Klasse und Armut. Die aktuelle queere Literatur Italiens setzt sich u.a. auch mit alternativen Lebensentwürfen auseinander oder wie in Jonathan Bazzis autofiktionalen Roman ‚Febbre‘ (der bisher noch nicht ins Deutsche übersetzt wurde) mit Themen wie Herkunft und was es bedeutet in Italien HIV-positiv zu sein.
 

Den Instagram-Account @booksaregayasfuck(Öffnet neues Fenster) finden Sie hier. Den Newsletter "Queerer Kanon?" von Marlon Brand und Tobi Schiller können Sie hier abonnieren.(Öffnet neues Fenster) 

Das Interview führte Svenja Pütz.