Kein Märchen: Wie die roten Buchmesse-Teppiche einmal auf dem Weihnachtsmarkt landeten
© privat, Trash Galore
Standbau, Hallengestaltung, Beschilderung: Als Veranstalter der Frankfurter Buchmesse können wir bislang (noch) nicht auf Materialien verzichten, die nach Messeschluss entsorgt werden müssen. Doch dass die sinnvolle Weiterverwendung von Materialien möglich ist, zeigt das Pilotprojekt, das die Frankfurter Buchmesse dieses Jahr mit dem Leipziger Unternehmen TRASH GALORE gestartet hat. Im Interview: Anne-Sophie Müller (Management, Netzwerk & Reporting bei TRASH GALORE) und Tanja Väth (Architektin im Team Fair Operations bei der Frankfurter Buchmesse).
Abfallvermeidung kennen wir, aber was ist eigentlich „Abfallumleitung“?
Anne-Sophie Müller: „Abfallumleitung“ ist ein etwas sperriger Begriff aus dem Global Reporting Standard, einer Richtlinie für Nachhaltigkeitsberichterstattungen, nach dem wir die Kennzahlen unserer Weitervermittlung von Materialien in unserem Reuse-Report integrieren. „Umleitung“ bedeutet in unserem Fall, dass Abfälle nicht der Entsorgung zugeführt, also verbrannt, recycelt oder deponiert wurden, sondern daran „vorbei geleitet“, um anders eingesetzt oder genutzt zu werden. Konkret bedeutet das: Wir vermitteln Material an Menschen, die es nachnutzen und es deshalb nicht entsorgt wird. Im Reuse-Report geben wir sowohl die Gesamtmenge der Materialien als auch die Teilgewichte der spezifischen Materialkategorien wie Holz oder Kunststoff in Kilogramm an, die von der Entsorgung „umgeleitet“ wurden.
Wie kam es zur Zusammenarbeit der Frankfurter Buchmesse mit TRASH GALORE?
Tanja Väth: Wir haben als Veranstalter festgestellt, dass wir bislang (noch) nicht auf Materialien verzichten können, die aufgrund mangelnder praktikabler Alternativen nach der Messe in den Abfall gehen. Über den Entsorger der Messe Frankfurt haben wir zwar eine Wiederverwertungsquote, gemeint ist die stoffliche Verwertungsquote, von über 90 Prozent. Mit dem Piloten wollten wir aber ausprobieren, ob es nicht auch für eine Messe wie uns an einem großen Messestandort möglich ist, einen Teil dieser Materialien in die ökologisch höher bewertete Weiterverwendung/Weiternutzung zu bringen. Damit wollen wir auch auf das Thema Kreislaufwirtschaft und Abfallvermeidung aufmerksam machen und mit der Dienstleistung von TRASH GALORE auch noch einen sozialen Nutzen erreichen: Das bedeutet Abfallvermeidung mit ökologischem und sozialem Mehrwert.
Fünf Initiativen aus der Frankfurter Region wurde Material, das auf der Buchmesse eingesetzt wurde, zur Weiterverwendung vermittelt. Es sind zum Beispiel Kultur- und Kreativschaffende, die von diesen Materialspenden profitieren. Wie wurden diese Partner gefunden?
Anne-Sophie Müller: Es gibt zwei Wege, wie wir Initiativen mit passendem Materialbedarf finden. Sie können aktiv auf unserer Website ihren Bedarf anmelden, dann können wir sie direkt anschreiben, sobald wir eine Vermittlung mit passendem Material in ihrer Nähe haben. Ansonsten gehen wir auftragsspezifisch auf die Suche nach Vereinen und Projekten, von denen wir einschätzen können, dass sie immer mal wieder diese oder jene Materialien benötigen. Das ist auch einfach unser Erfahrungswert. Offene Werkstätten brauchen regelmäßig Werkelmaterialien für ihre Mitglieder oder Proberäume freuen sich, wenn ihr Teppich erneuert wird oder Molton für bessere Schallisolierung abfällt.
Wo lagen die Herausforderungen für das Projekt mit der Frankfurter Buchmesse?
Anne-Sophie Müller: Die größte Herausforderung der Kooperation mit der Frankfurter Buchmesse ist ihre schiere Größe. Allen Ausstellern eine Vermittlung ihrer Restmaterialien anzubieten ist aus meiner Sicht erstmal nicht umsetzbar. Da wir mit jedem Aussteller eine eigene Abwicklung planen müssten, wäre der kommunikative Aufwand sehr hoch. Wir haben viel überlegt und auch Möglichkeiten erwogen, uns aber schlussendlich erstmal für eine reduzierte Vermittlung von Materialien aus dem LitAg und des Leitsystems entschieden, um uns erstmal zu beschnuppern und Erfahrungen mit dem Aufwand am Messestandort zu sammeln. Aus meiner Perspektive haben wir mit dem Pilotprojekt einen super erfolgreichen Start hingelegt und wissen nun, wie wir die Vermittlung kontinuierlich holistischer umsetzen können.
Tanja Väth: Aus Buchmessesicht lag und liegt die größte Herausforderung in der Logistik aufgrund der sehr begrenzten Abbauzeit, die uns zur Verfügung steht. Nach Ende der Messe müssen wir als Mieter des Messegeländes innerhalb weniger Tage die Hallen räumen. Auch sind wir immer in Gesprächen mit unseren Partnern, denn das Projekt ist ohne die Unterstützung der Messe Frankfurt und wiederum deren Dienstleistungspartnern, mit denen wir bereits seit vielen Jahren zusammenarbeiten, nicht umsetzbar.
Und ja, wir haben das diesjährige Pilotprojekt zusammen mit allen Beteiligten auch aus meiner Sicht sehr gut hinbekommen. Was mich wirklich sehr freut!
Gab es während des Projekts neue Erkenntnisse?
Anne-Sophie Müller: Eine Erkenntnis war, dass es für uns nicht so einfach war, in Frankfurt Initiativen mit den passenden Materialbedarfen zu finden. Das kann natürlich am zu vermittelnden Material liegen, an einem nicht vorhandenem Bedarf oder am lokalen Projektklima, da hat auch jede Stadt andere Gegebenheiten. Grundsätzlich sind wir in Frankfurt noch nicht so bekannt wie in beispielsweise in Berlin. Aber wir hatten mit der Buchmessevermittlung jetzt einen guten Start und auch schon erste Rückläufe von Initiativen, die von uns hörten und sich über unsere Website gemeldet haben. Und eine schöne Erkenntnis war es natürlich, dass die Kooperation auch an und mit so einem riesigen Messestandort wunderbar funktioniert hat.
Wo ist die FBM (oder Messen generell) am ausbaufähigsten, wenn es um „Reuse“ geht?
Tanja Väth: Die Messe Frankfurt als auch die Buchmesse haben sich Abfallvermeidung ja auf die Fahne geschrieben. Die Buchmesse hat zum Beispiel schon seit Jahrzehnten ein Angebot an immer wieder eingesetzten Systemständen.
Anne-Sophie Müller: Ich glaube der größte Faktor sind nach wie vor die Tausende Quadratmeter Teppich, die nach 5 Tagen Nutzung recycelt werden. Normalerweise hat auch ein Messeteppich eine angelegte Nutzungsdauer von 10-15 Jahren. Wiederverwendung ist also auch im Sinne der Abfallhierarchie dem Recycling vorzuziehen, auch wenn er 100% recycelbar ist oder der frische Teppich einen Anteil an recyceltem Granulat hat. Wie kann man also dieses Material wiederholend einsetzen oder in höherem Anteil sogar darauf verzichten? Ich weiß, dass die FBM da schon mutige Schritte geht und mit versierten Dienstleistern zusammen überlegt, diese riesige Herausforderung zu meistern.
Wie geht es jetzt weiter?
Tanja Väth: Wir möchten auch zukünftig Abfall vermeiden und nach dem gelungenen Start die Zusammenarbeit mit TRASH GALORE im nächsten Jahr gerne fortsetzen. Wir gehen mit allen Beteiligten in weitere Gespräche.
Über TRASH GALORE
TRASH GALORE wirkt seit 2019 der Verschwendungsmentalität der Eventbranche entgegen. Das Kerngeschäft ist die Vermittlung von wiederverwendbaren Restmaterialien von Messen, Brand Events und Konferenzen an soziale und kreative Initiativen. So unterstützen sie ihre Auftraggeber*innen Abfall zu vermeiden, CO2-äquivalente Emissionen zu reduzieren und gleichzeitig gemeinwohlorientierte Projekte zu unterstützen. In ihrer Unternehmensgeschichte konnte TRASH GALORE über 250 Tonnen Material vor der Entsorgung retten, mehr als 100 Tonnen CO2-Äquivalente einsparen und über 150 Projekte mit Baumaterialien unterstützen.
https://www.trashgalore.de/(Öffnet neues Fenster)
Liste der Initiativen, an die Materialspenden der Frankfurter Buchmesse vermittelt wurden:
- Kulturzentrum Waggonhalle e.V.: PVC-Banner und Teppich für Weihnachtsmarktstände
- Waggong e.V.: Textilien für Proberäume
- HfG Offenbach: PVC-Banner für Semesterprojekte
- Offene Werkstatt Mainz e.V.: Spanplatte, Graupappe und PVC als Grundstock
- Gündi West: Spanplatte und Teppich zum Ausbau von Wohneinheiten