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Portrait von Elizabeth Pich und Jonathan Kunz. Daneben ein Beispiel für ihre Comics.

© Lukas Ratius; War and Peas

Beim deutschsprachigen Ehrengast-Auftritt auf der Buchmesse in Brüssel waren auch die Macher von „War and Peas“ vor Ort – ein erfolgreicher Webcomic, der sich durch virale Erfolge, und Buchveröffentlichungen eine internationale Fangemeinde aufgebaut hat. Ein Gespräch mit Elizabeth Pich und Jonathan Kunz über einen Reisenden ohne Ziel, das Erzählen zwischen den Panels und eine universelle Kunstform, die auch von Aliens verstanden wird:

Das Motto des Deutschen Ehrengastauftritt auf der Foire du Livre ist "Wanderlust". Welcher eurer Comic-Charaktere verkörpert Wanderlust am meisten?

Es gibt da eine Figur, die uns sofort einfällt, vielleicht weil sie in gewisser Weise das Gegenteil von Wanderlust lebt, während sie insgeheim genau danach dürstet: unser Grim Reaper – der Sensenmann. Seine Aufgabe ist es, Seelen zu ernten, was per Definition ein permanenter Transit ist, aber eben nie aus freien Stücken. Er ist ein Reisender ohne eigenes Ziel, einer, der von Ort zu Ort springt, ohne je selbst zu wählen, wohin es geht. Und gerade deshalb – weil er so wenig Kontrolle darüber hat – wünscht er sich wohl insgeheim nichts sehnlicher, als einmal einfach so irgendwohin zu wandern, nicht im metaphysischen Sinn, sondern ganz banal: ein Café in Lissabon, eine einsame Berghütte, eine Straße, auf der er ohne Auftrag flanieren kann. Er begegnet seinen Aufgaben mit einer Art trockenem Humor, den wir als "distanziertes Mitgefühl" bezeichnen würden – eine Mischung aus Akzeptanz und absurdem Widerspruch.

Durch Comics kann man viele neue, auch fiktive Orte entdecken. Was ist das Besondere an Comics für euch, im Vergleich zu rein schriftlicher Literatur?

Comics suggerieren ein Setting, sie liefern Farben, Formen, Mimik – aber sie sind kein Film. Sie erzählen durch Abwesenheit. Zwischen den Panels passiert das eigentliche Leben, die Bewegung, die unausgesprochenen Gedanken, das, was die Lesenden füllen müssen. Und genau darin liegt der Zauber: Ein Comic zeigt eine Sequenz, aber das Gehirn extrapoliert, es fügt hinzu, es imaginiert die Räume zwischen den Bildern. Das macht Comics auf eine Weise interaktiv, die weder rein textbasierte Literatur noch Film jemals sein können. Sie sind ein Angebot – eine Art offener Vertrag zwischen Autor und Leserschaft: "Hier ist das Gerüst, aber du musst selbst hindurchwandern." Wer also bereit ist, aus der eigenen Perspektive zu treten und sich für einen Moment in ein anderes Bewusstsein einzuklinken, wird belohnt. Oder, um es weniger verkopft zu sagen: Comics sind für Leute, die sich nicht damit begnügen, nur Zuschauer zu sein.

Durch den Erfolg eurer Comics reist ihr viel, wie zum Beispiel hier nach Brüssel. Was ist der spannendste Ort, an den ihr mit euren Comics gereist seid?  

Da gibt es einige, aber Indien, das Baltikum und die USA stehen ziemlich weit oben. Es ist ein seltsames Gefühl, wenn man am anderen Ende der Welt aus einem Flugzeug steigt und merkt, dass Menschen, die in einer völlig anderen Kultur, mit völlig anderen Erfahrungen aufgewachsen sind, sich in Figuren und Geschichten wiederfinden, die man sich selbst irgendwo zwischen Schreibtisch und Kaffeemaschine ausgedacht hat. Da bemerkt man erst, welche Reichweite wir überhaupt haben. Und mit "Reichweite" meinen wir nicht diese algorithmische Social-Media-Metrik, sondern die schlichte Tatsache, dass sich jemand in Mumbai oder West Virginia über dieselben absurden Dinge amüsiert wie jemand in Berlin, Brüssel oder Vilnius. Comics haben eine fast schon lächerliche Universalität – vielleicht, weil sie Sprache und Bild kombinieren, vielleicht, weil sie auf eine Art funktionieren, die näher an Träumen als an rationalem Denken ist. Oder, um es mal ins Extreme zu treiben: Wenn eines Tages Aliens auf der Erde landen, haben Comics eine gute Chance, die erste Kunstform zu sein, die sie kapieren – und vielleicht sogar darüber lachen.

Die internationale politische Lage ist sehr angespannt, und ihr habt mit euren Comics eine sehr große internationale Reichweite. Sehr ihr eure Comics als politisch? Was wollt ihr euren Lesern mitgeben?

- Vielleicht sind wir so etwas wie die Hofnarren einer Zeit, die sich ein bisschen zu sehr an den Gedanken gewöhnt hat, dass alles immer ernster werden muss. Der Hofnarr ist ja nicht nur jemand, der Witze reißt – er ist der Einzige, der es sich – zumindest noch – erlauben kann, die Herrschenden offen zu verspotten. Und klar, wenn man sich unsere Comics anschaut, könnte man sagen, dass wir nicht unbedingt die subtilsten sind, wenn es um politische Anspielungen geht. Aber das ist nie der eigentliche Punkt. Wir sind keine Agitatoren, wir verfolgen keine Agenda – wir sind einfach Menschen mit politischen Überzeugungen, die sich zwangsläufig in unserer Arbeit spiegeln. Und das ist gut so. Wenn wir mit unseren Comics irgendetwas erreichen wollen, dann, dass die Welt ein kleines bisschen verständlicher und ein kleines bisschen erträglicher wird.

Ein Thema, das uns derzeit besonders beschäftigt, ist die Art und Weise, wie Social-Media-Algorithmen inzwischen nicht nur beeinflussen, was wir sehen, sondern auch, wie wir miteinander umgehen. "Enragement = Engagement" – das ist der Mechanismus, der gerade mittels Social Media unsere Demokratien untergräbt. Das neue Spielfeld ist darauf ausgelegt, dass die lautesten, wütendsten Stimmen am weitesten tragen. Und wenn man das einmal verstanden hat, dann wird auch klar, dass es keinen Sinn macht, in diesen Plattformen noch gegen Faschisten anzudiskutieren – sondern dass die einzig sinnvolle Reaktion ist, ihnen so wenig Interaktionsfläche wie möglich zu geben. Sie – die Plattformen und die Faschisten – mit Abwesenheit zu strafen trifft sie vielmehr. Ein Donald Trump ist wie die Fee Tinkerbell aus Peter Pan: Bekommt er keine Aufmerksamkeit, dann stirbt er und mit ihm das ganze Phänomen. 

Mehr zu War and Peas: https://warandpeas.com/(Öffnet neues Fenster)